Ein Tag im Leben des Kino Houdini Reportage - Adrian Nicca

ZÜRICH Nach dem Brand und der Wiedereröffnung im Jahr 2015, läuft der Betrieb im Kino Houdini heute reibungslos. Was zum Betreiben eines Kinos mit fünf Sälen und einer Bar aber alles nötig ist, sieht man erst, wenn man einen Tag im Leben des Kinos erlebt hat.

Die Sonne, der Feind des Kinos

Kino/Bar Houdini by night (©Toby Studer) Blick von ganz oben (©Toby Studer) Oliver Steiner erklärt das Houdini (©Toby Studer) Mirjam hat den Überblick (©Toby Studer) Lichtspiel im Mezzanin (©Toby Studer)

Das Houdini erwacht morgens erst um 10.30 Uhr, da es in der Nacht zuvor bis um 1 Uhr früh Gäste beherbergt hat. Punkt halb elf beginnt der Tag mit dem Eintreffen des Personals, das den Betrieb innerhalb von nur 30 Minuten hochzufahren hat. Denn um 11 Uhr sind die Pforten für das Publikum geöffnet und das Houdini muss bereit sein. Eine halbe Stunde später starten nämlich bereits die ersten Filme.

„Scheint die Sonne, wird der Nachmittag eher ruhig“, erklärt Oliver Steiner, Bereichsleiter Angebot des Houdini. Das Wetter spielt eine zentrale Rolle, wie der Tag im Leben eines Kinos verläuft. Während Steiner hinter den Kulissen dafür sorgt, dass der Betrieb läuft, bereiten Nicole und Mirjam die Bar für den Kinotag vor. Die beiden Studentinnen sind gleichzeitig auch für die Kasse verantwortlich, die unmittelbar neben der Bar angesiedelt ist. Dazu gehört auch das Bedienen des Telefons, das trotz Internet, bis heute Hauptreservationsmittel geblieben ist.

Kino 2.0

Dani Vonesch erklärt uns die Technik, die hinter respektive unter dem Houdini steckt (©Toby Studer) Statt Filmrollen eingelegt, werden heute Server gewartet und programmiert (©Toby Studer) Das Kino 1 im Houdini ist mit der neusten Bild- und Tontechnik ausgestattet (©Toby Studer) Die Dolby Atmos Server benötigen viel Platz im Keller des Houdini (©Toby Studer) Dani Vonesch präsentiert nicht ohne Stolz die neuste Projektoren-Generation, zum Preis eines Mittelklassewagens (©Toby Studer) Filmposter-Aushang (©Toby Studer)

Im Hinter- respektive Untergrund agierend, aber eine Schlüsselfigur, stellt Dani Vonesch dar. Der ehemalige Operateur ist für die gesamte Technik des Houdini verantwortlich und sorgt dafür, dass die Filme auch wirklich laufen. Seit im Jahr 2013 die ganze Neugass Kino AG, zu der auch das Kino Riffraff und das Bourbaki in Luzern gehören, auf den digitalen Betrieb umgestellt hat, ist der Beruf des Operateurs verschwunden. Die Automatisierung hat Einzug gehalten, es muss keine Filmrolle mehr eingespannt und auch kein Bild mehr scharf gestellt werden. Heute müssen Server gewartet und programmiert werden.

„Wir waren fast die Letzten, da wir Verleiher hatten, die noch gar nicht digital liefern konnten“, erläutert Dani Vonesch und wird ein wenig nostalgisch: „Wir haben mit der Digitalisierung so lange gewartet, wie es ging, weil wir gerne 35mm-Filme gezeigt haben“. Glücklicherweise musste kein Personal entlassen werden, da beide Kinos ihr Angebot erweitert haben. Praktisch alle Räumlichkeiten und Services kann man heutzutage privat mieten. Ausserdem waren zu analogen Zeiten etwa 8 verschiedene Filme pro Woche an Lager, heute sind es 50. Neben privaten Vorführungen nutzen die Verleiher die Kinos, um ihre Filme zu visionieren, dazu kommen die Pressevorführungen. Betriebsführungen, wie wir sie erhalten haben, können auch gebucht werden. Über zu wenig Arbeit beklagt sich hier deshalb niemand.

Die Filme kommen heutzutage auf zwei Wegen ins Kino 2.0. Entweder direkt als Download von FTP-Servern über eine leistungsstarke Glasfaserleitung oder als Digital Cinema Package (DCP), einer speziellen Harddisk, die die Verleiher an die Kinos verschicken. Die Film-Files sind ca. 160 Gigabyte gross und werden auf den zentralen Server geladen. Aus Platzgründen werden die Filme nach den Vorführungszeiten im Kino wieder gelöscht.

Bei der Frage nach The Hateful Eight, dem letzten Tarantino im 70mm-Format, gerät Vonesch ins Schwärmen. „Wir hätten extra für den Film einen solchen Projektor installiert, aber das Projekt scheiterte an den Kosten. Tarantino versprach eigentlich finanzielle Unterstützung, hat sich aber auf Anfrage nicht bei uns gemeldet. Die Bildqualität eines 70mm-Films wäre halt einfach nochmals um einiges besser gewesen. Heute kann man leider nirgends mehr ein solches Format in einem Schweizer Kino finden.“ Fast tragikomisch mutet Voneschs Aussage an, dass „dank“ dem Brand im Houdini die modernste Technik eingebaut wurde. Nur im Kino 1 steht noch ein „alter“ 3D-Projektor, die übrigen vier sind LED-Laser-Projektoren der neusten Generation.

Das neue digitale Gesamtsystem stammt von der Firma Dolby, die massgeschneiderte Lösungen für Kinos anbietet, leider inzwischen als Monopolist. Über einen simplen Browser auf dem Laptop kann das komplette Kino gesteuert werden. Vonesch führt uns in die Eingeweide des Baus an der Kalkbreite, an ellenlangen und beeindruckend dicken Kabelsträngen vorbei in den Serverraum. Von dort wird das Kinoprogramm der ganzen Kinowoche gesteuert, inklusive Türschliessung bei Filmstart. Auch die Tonanlage steht im Keller. Beeindruckend, die 36 einzeln ansteuerbaren Kanäle des Dolby Atmos Soundsystems, die auch entsprechend viele Endstufen voraussetzen. Die neuste Entwicklung von Dolby hat ihren Preis: 150’000 Franken kostet nur das Audiosystem, das im Kino 1 des Houdini zu hören ist. Tipp: in der dritten Reihe in der Mitte klingt die Anlage am besten. Interessant auch, dass die Tonanlage für Hörgeräte optimiert ist. Das heisst, Träger von Hörgeräten können sich den Ton direkt auf ihre Geräte schicken lassen und sind damit nicht vom vollen Kinoerlebnis ausgeschlossen.

Phoenix aus der Asche

Viel Sichtbeton, wenig rechte Winkel: die Architektur hat im Houdini grossen Stellenwert (©Toby Studer) Aufstieg zu den oberen Kinosälen (©Toby Studer) Eigens für das Houdini entworfene Lampen (©Toby Studer) Die samtenen Sofas laden zum Verweilen ein (©Toby Studer) Reger Barbetrieb (©Toby Studer) Verwinkelt = Hilfsausdruck. Im Houdini kann man sich auch mal verlaufen, entdeckt aber immer einen schönen Ort dabei (©Toby Studer) Die Bar aus der Vogelperspektive (©Toby Studer) Die beiden Alleskönnerinnen Nicole und Mirjam (©Toby Studer)

Nebst all der Technik im Verborgenen hat im Houdini die Architektur prominenten Stellenwert, steht der Raum im Vordergrund. Das «Mezzanin» im oberen Stockwerk ermöglicht einen Blick auf die Badenerstrasse und den von Sichtbeton dominierten offenen Hauptraum. Es scheint, dass im ganzen Komplex kein einziger rechter Winkel vorkommt, die Asymmetrie aber in keiner Weise störend wirkt. Vielmehr lassen sich immer wieder neue Perspektiven entdecken.

Mittlerweile haben sich die ersten Kino- und Barbesucher eingefunden, die Nicole und Mirjam beschäftigen. Das Wetter spielt allerdings gegen das Houdini, doch für den Abend ist zum Glück Regen angesagt. Optimist Oliver Steiner spricht derweil über den Vorteil des Brandes: „Obwohl wir nur kurz im Vollbetrieb arbeiten konnten, bis der ominöse 17. Februar 2015 kam, konnten wir nach dem Brand viele Optimierungen vornehmen. Wir hatten sozusagen eine Testphase und danach die Möglichkeit zu perfektionieren.“

„Je hollywoodesker ein Film, desto unordentlicher finden wir die Kinosäle nach der Vorstellung vor“, verrät uns Steiner seine soziologische Beobachtung. Wir stehen gerade in Saal 5, wo AN läuft, aber niemand im Kino sitzt. Laut Steiner lohnt es sich energietechnisch nicht, die Projektoren abzuschalten, deshalb laufen die Filme trotzdem, auch wenn kein Besucher anwesend ist. Dies ist aber die Ausnahme. In der Regel ist immer mindestens ein Gast anwesend und am Abend sind die Säle meist voll. Da die Kinosäle im Houdini relativ klein sind, empfiehlt es sich zu reservieren oder die Tickets gleich online zu kaufen. Laut Steiner kämen oft Gäste am Wochenende und seien erstaunt, dass alle Vorführungen bereits ausverkauft sind.

Das Essen im Houdini stammt von einem Catering-Unternehmen, das mit Flüchtlingsfrauen arbeitet, ist asiatisch und vom Balkan-Raum geprägt. Die Neugass Kino AG bildet auch Lehrlinge aus, die es aufgrund ihres Namens und ihrer Herkunft in der Schweiz schwer haben, eine Lehrstelle zu finden. „Bis jetzt hat noch Jeder und Jede die Lehrabschlussprüfung bestanden bei uns“, hält Steiner nicht ohne Stolz fest. Die Houdini-MitarbeiterInnen sind AllrounderInnen, ob Ticket-Kontrolle beim Einlass, Barbetrieb oder Kasse, Alle machen Alles, entgegen dem Spezialisierungstrend. So auch Mirjam und Nicole, die an diesem Tag gemeinsam Bar und Kasse betreuen. Die Studentin Nicole arbeitet 40% im Houdini. Die Tagesschicht beginnt um 10:30 Uhr und endet um 17:30 Uhr, die Abendschicht um 17:30 und dauert unter der Woche bis 1 Uhr, am Wochenende bis um 2 Uhr. Sie schätzt vor allem den Teamgeist, den sie hier vorgefunden hat und dass sie jederzeit gratis ins Kino gehen kann.

Nach dem Eindunkeln zeigt sich der Bau an der Badenerstrasse 173 in neuem Licht und die Kinogänger lassen nicht lange auf sich warten. Der Mensch steht beim Houdini im Zentrum, ob als Gast oder Personal. Die Bar wird mehr und mehr erfüllt von cinephilen und kulinarischen Gesprächsthemen. Per Telefon werden die letzten Reservationen für die Abendvorstellungen entgegengenommen, bis sich schliesslich die Kinosaaltüren ein letztes Mal an diesem Tag wie von Geisterhand schliessen. Danach schnurren nur noch im Serverraum leise die Lüfter und das Houdini wartet auf den nächsten Kinotag.

20.07.2016

Fotos © Toby Studer: www.tobystuder.ch

Text: Adrian Nicca